RICHARD WAGNER UND STUTTGART

R I C H A R D   W A G N E R
U N D   S T U T T G A R T

»Schreiben Sie mir für ganz gewiss nach Stuttgart, wo ich mich jetzt einige Tage aufzuhalten gedenke.«

Als Richard Wagner Ende April 1864 diese Zeilen an Heinrich Porges schrieb, war er gerade auf dem Weg in die Schwabenmetropole. Hochverschuldet und auf der Flucht vor seinen Gläubigern setzt Wagner seine Hoffnung auf Stuttgart und möchte hier seinen „Tristan“ uraufführen.
Richard Wagner Verband Stuttgart RWV Hotel Marquardt

Fünf Jahre zuvor stand mit „Tannhäuser“ am 13. Juni 1859 zum ersten Mal eine Wagner-Oper in Stuttgart auf dem Spielplan der Hofoper. Die württembergischen Herrscher jedoch schätzen Wagners Opern nicht besonders, so dass vorerst keine Folgeaufführungen angesetzt wurden. Auch das konservative Publikum hatte starke Vorbehalte gegen den „Neudeutschen“ Wagner. 


Nichtsdestotrotz hofft Wagner im Frühjahr 1864 auf eine Aufführung seiner Werke in Stuttgart und bezog am 28. April 1864 zwei Zimmer im damaligen „Hotel Marquardt“ am Schlossplatz.


Dieser Aufenthalt führte zwar nicht zu einer Aufführung von Wagners Werken an der Stuttgarter Hofoper, markierte aber trotzdem eine bedeutungsschwere Wende in Wagners Leben.

»Ich bin am Ende - ich kann nicht weiter« sagte Wagner bei seiner Ankunft in Stuttgart. Als er die Stadt wieder verlässt, beschreibt er seine Stimmung in einem Brief wie folgt: »Ich bin frei, nichts habe ich mehr zu tun, als meine Werke zu vollenden, zu schaffen und vollkommen auszuführen.«

Was änderte Wagners Stimmung in diesen sechs Tagen so grundlegend? Es war die Bekanntschaft mit Franz Seraph von Pfistermeister, dem Kabinettssekretär von König Ludwig II von Bayern. Dabei ließ sich Wagner zunächst verleugnen, als Pfistermeister bei ihm vorstellig werden wollte. Er vermutete in Pfistermeister einen weiteren Gläubiger, der Wagner in Schuldhaft nehmen wollte. »Sehr unangenehm davon überrascht, dass mein Aufenthalt in Stuttgart schon Durchreisenden bekannt wäre«, so erzählt Wagner selbst, »ließ ich hinaussagen, ich sei nicht anwesend, worauf ich mich alsbald in meinen Gasthof zurückzog, um hier wiederum von dem Wirte desselben davon benachrichtigt zu werden, dass ein Herr aus München mich dringend zu sprechen wünsche, welchen ich nun für den anderen Morgen um zehn Uhr beschied.«
Gedenktafel Richard Wagner Verband Stuttgart RWV Hotel Marquardt König Ludwig II Bayern

Doch Pfistermeister will kein Geld von Wagner. Im Gegenteil. In München kam kurz zuvor der 18-jährige König Ludwig II auf den Thron. Er schwärmte so sehr für Wagners Musik, dass er Pfistermeister beauftragte, Wagner zu suchen. Der König wollte Wagner in seiner Not unterstützen. Wagner solle sich mit dem König als Mäzen in München ausschließlich seinem Werk widmen. Am 03. Mai 1864 reist Wagner daher mit Pfistermeister von Stuttgart nach München und lebt fortan lebenslang unter dem Schutz Königs Ludwigs II.


In Erinnerung an diesen schicksalhaften Besuch in Stuttgart hat der Richard Wagner Verband Stuttgart am Ort des ehemaligen Hotel Marquardt (heute Ecke Königstraße/Bolzstraße) an der Seite zur Königsstraße eine Tafel anbringen lassen, die an Wagners Aufenthalte in Stuttgart erinnert.

Wenn Wagner Stuttgart 1864 auch im größten Glück und mit wundervollen Gedanken an die Stadt verließ, brauchte es noch einige Jahre, bis auch die Stuttgarter Opernliebhaber zu Wagner fanden. Erst nach dessen Tod kehrten Wagners Werke nach und nach auf die Stuttgarter Opernbühne. Verantwortlich dafür waren die Hofkapellmeister Johann Joseph Abert (1867 bis 1888) und vor allem Hermann Zumpe (1891 bis 1895). Sie läuteten die erste große Wagner-Zeit in Stuttgart ein.

1912 wurde der Littmann-Bau – in dem sich heute die Staatsoper befindet – mit Wagners „Lohengrin“ feierlich eingeweiht. Mit dem Generalmusikdirektor Max von Schilling wurde in den Jahren 1908 bis 1918 Stuttgart vollends zu einer ehrgeizigen und ausgezeichneten Pflegestätte der Werke Wagners und das Hofopernorchester zu einem vielgerühmten „Wagner-Orchester“.

Die ganz große Wagner-Zeit in Stuttgart wurde dann in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg eingeläutet. Während draußen noch die Ruinen das Bild der Stadt bestimmten, fanden in der Oper die großen kulturellen Ereignisse statt. Mit Richard Wagners Enkel Wieland wurde Stuttgart zu einer regelrechten Wagner-Hauptstadt. Seine später in Bayreuth legendär gewordene „Scheibe“ als Bühnenbild – eine graue, leicht geneigte Ebene, auf der sich das Geschehen konzentrierte – probierte er zuerst in Stuttgart aus. Das war in diesem Fall (noch) nicht Wagner, sondern Beethovens „Fidelio“.

Wieland Wagners Regie war kühn und modern. Sie markierte einen Aufbruch in eine neue Zeit. Seine Zusammenarbeit mit der Stuttgarter Oper und deren Dirigenten Ferdinand Leitner setzte sich nach dem großen Erfolg des „Fidelio“ fort. Neben Bayreuth machte Wieland Wagner Stuttgart zu seiner zweiten künstlerischen Heimat. Zwischen 1954 und seinem frühen Tod 1966 inszenierte Wieland Wagner 16 Werke seines Großvaters an der Stuttgarter Oper. Stuttgart wurde zum „Winter-Bayreuth“.

In Stuttgart wurde probiert und mustergültig zur Aufführung gebracht, was im Anschluss in Bayreuth bei den Festspielen gezeigt wurde. Die Sänger-Ensemble in Stuttgart und Bayreuth waren nahezu identisch.

Wieland Wagner legte mit seiner Arbeit einen Grundstein, der bis heute auf das Stuttgarter Publikum wirkt. Sein Einstand mit „Fidelio“ lösten lebhafte Kontroversen, ja beinahe einen Skandal aus. Doch nachdem sich der Protest gelegt hatte, etablierte sich die Stuttgarter Oper als Hochburg des Regietheaters.

Klaus Zehelein erging es als Intendant der Stuttgarter Oper in den Jahren 1991 bis 2006 ähnlich. Seine Akzente sorgten ebenfalls für handfeste Skandale, doch nach und nach konnte er mit seinem Programm Publikum und Kritiker für sich gewinnen. Sein Stuttgarter „Ring“ wurde legendär: konzeptionell, theatralisch und musikalisch. Das Staunen war groß über das Konzept Zeheleins, den „Ring“ von vier verschiedenen Regisseuren in Szene setzen zu lassen. Der künstlerische Erfolg gab ihm schließlich Recht. Wagners „Ring“ wurde wohl selten ebenso spannungsvoll wie vielseitig inszeniert.

Bis heute wird in Stuttgart so ernst und gewissenhaft wie nirgends sonst immer wieder die Frage gestellt, was und wie Musiktheater in unserer Zeit zu sein hat und wie es auf diese Zeit zu reagieren gilt.


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